Ruth Klüger (1931-2020) – In memoriam
„Dachau habe ich einmal besucht, weil amerikanische Freunde es wünschten. Da war alles sauber und ordentlich, und man brauchte schon mehr Phantasie, als die meisten Menschen haben, um sich vorzustellen, was dort vor vierzig Jahren gespielt wurde“, schrieb Ruth Klüger.
Mehr Phantasie, als die meisten Menschen haben, braucht man auch, um zu verstehen, was Ruth Klüger selbst erlebt hatte. In ihrem Buch „weiter leben. Eine Jugend“ hat sie Zeugnis abgelegt, berichtete sie davon, wie prägend die Erfahrungen der Entrechtung und der Verschleppung in die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Groß-Rosen waren. 1947 wanderte Ruth Klüger in die USA aus, studierte dort Anglistik und Germanistik und lehrte später Literaturwissenschaft, zuletzt an der University of California in Irvine.
Ruth Klüger hat besonders mit ihren Publikationen „weiter leben“ und „unterwegs verloren“, für die sie vielfach ausgezeichnet wurde, eine besondere Form des Erinnerns geschaffen. Es war für uns daher auch von außerordentlicher Bedeutung, sie 2011 als Gast im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek begrüßen zu dürfen. Gemeinsam mit Herta Müller dachte sie bei diesem Anlass darüber nach, wie zeitgemäße Formen des Erinnerns aussehen könnten.
Am 27. Januar 2016 war Ruth Klüger eingeladen, vor dem Deutschen Bundestag anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zu sprechen. Sie sprach über Zwangsarbeit, über die doppelte Entrechtung der Frauen, über das, was sie selbst erlebt hat. Am Ende ihrer Rede blickte sie in die Gegenwart und griff Angela Merkels „Wir schaffen das“ auf: „[…] dieses Land, das vor achtzig Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Groβherzigkeit, mit der Sie die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen haben und noch aufnehmen. Ich bin eine von den vielen Auβenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung übergegangen sind. Das war der Hauptgrund, warum ich mit groβer Freude Ihre Einladung angenommen und die Gelegenheit wahrgenommen habe, in diesem Rahmen, in Ihrer Hauptstadt, über die früheren Untaten sprechen zu dürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und entsteht, mit dem bescheiden anmutendem und dabei heroischem Wahlwort: Wir schaffen das.“
Auch mit diesen Worten sollte man Ruth Klüger in Erinnerung behalten. Sie ist in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 2020 gestorben.
(Dr. Sylvia Asmus)
Letzte Änderung:
08.10.2020