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Wolf Biermann: Kleine Rede bei der Übergabe des Ovid-Preises


Geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
was Wunder: mich ehrt der OVID-Preis des Deutschen Exil PEN. Und mit unbescheidener Dankbarkeit gebe ich ihn besonders gern weiter an die nächste Generation, an eine eingekerkerte junge Frau in Weißrussland, also hier in Europa, an Maryja Kolesnikowa. Ihre Rechtsanwältin, Frau Ludmila Kazak, ist nach Frankfurt am Main gekommen. Sie wird den Preis heute stellvertretend für ihre Freundin in Belarus entgegennehmen: Die Musikerin Maryja in Minsk ist jetzt schon in mancher Welt das verwundete und trotzalledem schönste Menschengesicht der gewaltlosen Revolution.

Maryja Kolesnikowa gilt als der oppositionelle Kopf in Belarus. Diese Frau hat sich nach den friedlichen Protesten, die nun von Putins kopflosem Kampfhund Lukaschenko blutig zerbissen wurden, nicht ins Exil treiben lassen. Also entledigte sich der feige Macho Alexandr dieser mutigen und zerbrechlichen Frau nun noch gemeiner: nun warf er die schuldlose Frau für 11 Jahre in seine Menschenbrechmaschine.

Wenn ich also bei dieser Gelegenheit drei, vier meiner Lieder gleich zur Gitarre singe, dann werde ich beginnen mit dem passenden Lied der einstigen DDR-Opposition:

Ermutigung

Du, laß dich nicht verhärten

In dieser harten Zeit ...

Und dann ein aufmunterndes Liedchen, das ich nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968 für meinen alten Freund Robert Havemann sang, für den jungen Jürgen Fuchs und für manche tief deprimierten Freunde in Ostberlin, und na klar: auch für mich selber.

Die Großen Führer - und was, na was wird bleiben von denen?
- nur, daß sie endlich gestürzt wurden
Und ihre Ewigen großen Zeiten, na was wird bleiben von denen?
- nur, daß sie erheblich gekürzt wurden!

Sogar eine starke Rebellin wie Swetlana Tichanowskaja mußte sich und ihre Kinder über die Grenze in die Demokratie nach Litauen retten. So herzzerreißend geht´s halt zu, im ewigen Freiheitskriege der Menschheit. Immer und immer wieder die Schicksalsfrage: Was tun, lieben Freunde? Und was lassen? Lieber abhaun? Oder lieber dableiben? - Und beides kann ja falsch sein, beides richtig. In solch fatales Dilemma geraten die verfolgten Freiheitskämpfer seit eh und je. Bei diesem trotzige Liedchen - da könnten unsere Schicksalsgenossen wohl alle in eigener Sprache mitsingen:

Was wird bloß mit unsern Freunden
Und was noch aus dir, aus mir ...
Ich möchte am liebsten weg sein
Und bleibe am liebsten hier.

Der Dichter Ovid wurde, das passierte acht Jahre nach der Geburt Christi, vom Römischen Kaiser Augustus aus seiner Heimat verbannt. Publius Ovidius Naso durfte bis zum Lebensende nicht nach Hause zurück. Wir Deutschen haben auch solch einen verjagten Dichter, und auch er starb im Exil: Heinrich Heine. Der allerdings hatte Glück im Unglück, denn die Musen waren in ihn verliebt, sie küssten den verjagten Dichter in der Fremde noch leidenschaftlicher.
Gewiß, das Leben im Exil ist Steinefressen. Aber kann auch ein Kanten Brot sein. Ich habe es gekaut und genossen, denn als ich, nach meiner Ausbürgerung, mich bißchen einlebte in Paris, war ich 1981 dabei, als in den Präsidentschaftswahlen der Sozialist François Mitterrand gewann. Ich bin ja ein gebranntes Kind aus zwei deutschen Diktaturen. Nun erlebte ich, wie beglückend es sein kann, wenn nicht so verblödete Untertanen der Diktatur auf die Straße gehen, um brav zu brüllen und feige zu jubeln. Ich erlebte freie Citoyens in der Demokratie, wie sie übermütig lachen und tanzen und singen. In der Metropole an der Seine, auf dem Boulevard Saint-Michel, traf ich im Getümmel den geköpften Danton und begriff, daß meine verfluchte Ausbürgerung 1976 zugleich mein Glück war. Also singe ich Ihnen zum Schluß

Die Ballade von der Mainacht in Paris

meine poetische Reportage über eine ausgelassene Straßen-Fête der Franzosen mit ihrer Freiheitsgöttin und der Trikolore.

Der Dichter Friedrich Hölderlin, unser deutschester Grieche, er prägte in seinem Hyperion, vor über zweihundert Jahren, das Wort „Heiterkeit ins Leiden“. Bei diesem genialen Oxymoron denke ich heute mit viel Bekümmernis und mit Bewunderung an eine einsame Frau in einer Zelle. Inzwischen gilt sie auch in Deutschland als Symbol für den Aufrechten Gang. Bei den Kämpfern gegen das Unrecht avanciert sie weltweit zur Ikone für diese stoische Tugend:

Heiterkeit im Leiden.

Der tapferen Maryja sei - und nun sogar feierlich - mein OVID-Preis gewidmet.

ERMUTIGUNG

(für meinen Freund Peter Huchel)

Du, laß dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
– und brechen ab sogleich.

Du, laß dich nicht verbittern
In dieser bittren Zeit
Die Herrschenden erzittern
Sitzt du erst hinter Gittern
– doch nicht vor deinem Leid

Du, laß dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das wolln sie doch bezwecken
Daß wir die Waffen strecken
– schon vor dem großen Streit

Du, laß dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns. Und wir brauchen
– grad deine Heiterkeit

Wir wolln es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir wolln das allen zeigen
– dann wissen sie Bescheid.

Verehrte Kollegen im Deutschen Exil-PEN, willkommene Gäste aus manchen Welten, und liebe Ludmila Kazak, ich vergaß es, Sie zu fragen, ob Ihre Freunde mein Lied „Ermutigung“ nun ins russische oder ins verwandte weißrussische nachgedichtet haben? Voyeure des russischen und des belarussischen Geheimdienstes werden auch heute hier in Frankfurt am Main fleißig Informationen sammeln. Also, Ihr Plattköpfe aller Länder, es vereinigt Euch, daß Ihr das allerschwierigste Fremdwort Freiheit in keiner Sprache versteht, und schon gar nicht in der eigenen. Wir aber, liebe Freunde, verstehen einander sogar im Schweigen.

Падтрымка
Пэтэру Хухелю

Гэй, ня дай сабе зрабіцца жорсткім
У гэтыя суворыя часы.
Занадта цьвёрдыя, каб зламацца.
Занадта вострыя, каб стачыцца
І каб разьбіцца.

Гэй, ня дай сябе атруціць горыччу
У гэтыя горкія часы.
Гаспадары краіны дрыжаць.
Ты сядзіш за кратамі,
Але не перад сваёй пакутай.

Гэй, ня дай сябе запужаць
У гэтыя страшныя часы.
Яны гэтага й дабіваюцца.
Каб мы склалі зброю
Перад вялікай бітвай.

Гэй, ня дай сябе скарыстаць.
Скарыстай свой час.
Ты ня можаш проста так патануць.
Табе патрэбныя мы. І нам патрэбная
Твая бадзёрасьць.

Мы ня хочам нічога замоўчваць
У гэтыя маўклівыя часы.
Зялёныя парасткі прабіваюцца з галінак.
Мы хочам паказаць гэта ўсім.
Каб яны даведаліся, у чым рэч.

Rede gehalten am 5. Oktober 2021 im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main

Letzte Änderung: 15.11.2021

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