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Jellinek-Mercedes, Raoul Fernand

Raoul Fernand Jellinek (1888-1939) wurde als Sohn von Emil Jellinek (1853–1918) und Rachel Gogman-Azoulay (1854–1893) in Algier geboren. Sein Vater war Industrieller, Diplomat und Geschäftsmann und vertrieb ab 1898 Daimler-Automobile. Das gleichnamige Auto ist nach Raouls Schwester Mercedes (1889-1929) benannt. 1903 änderte die Familie ihren Nachnamen in Jellinek-Mercedes um. Raoul Fernand Jellinek-Mercedes heiratete 1908 Léopoldine Weiss (1885–1981). Bis 1938 lebte das Paar in Baden bei Wien. Raoul Fernand Jellinek-Mercedes schrieb u.a. für die Badener Zeitung, war förderndes Mitglied des Wiener Musikvereins und besaß eine große Musikalien- und Gemäldesammlung sowie eine Bibliothek.

Nach dem ‘Anschluss’ Österreichs im März 1938 wurde Raoul Fernand Jellinek-Mercedes als Jude verfolgt. Er versuchte vergeblich, sich als sogenannten Mischling anerkennen zu lassen, konnte allerdings anhand seiner Geburtsurkunde die Religion seiner Eltern und Großeltern nicht nachweisen. Infolgedessen wurden seine Konten eingefroren, so dass er immer wieder gezwungen war, Stücke aus seinen Sammlungen und seiner Privatbibliothek zu verkaufen. Am 10. Februar 1939 nahm er sich unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung das Leben. Auch nach seinem Tod war seine Witwe Léopoldine Weiss zu weiteren Zwangsverkäufen genötigt. Rückblickend beschrieb sie diese wie folgt: „Am 10. Februar erschoss sich mein Gatte nach einer Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten. Mein Gatte stand vor der Verhaftung. Ich musste nach meinem Gatten an Judenvermögensabgabe 32.000 RM bezahlen. Um diese enorme Summe aufzubringen, musste ich die überaus kostbare Bibliothek, die einzigartige Partitur-Sammlung und mein Grundstück in Baden, ferner Schmuck und fünf sehr wertvolle Perserteppiche, weit unter Wert veräußern." Durch diese Verkäufe wurde die Privatbibliothek über den Antiquariatsbuchhandel völlig zerstreut. Mit Hilfe der Provenienzforschung sind in den letzten Jahren in deutschen und österreichischen Bibliotheken zahlreiche Bände identifiziert worden, darunter 15 Bände im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

Den Großteil dieser Bände machen sieben jeweils zweibändige Jahrgänge der Zeitschrift für Bücherfreunde aus, die 1944 von der Leipziger Stadtbibliothek erworben wurden. Als die Stadtbibliothek zu Beginn der 1950er Jahre in eine Volksbibliothek umgewandelt wurde, musste sie große Teile ihres Altbestandes an andere Leipziger Einrichtungen abgeben. Die Zeitschriftenbände kamen daher 1956 ins Deutsche Buch- und Schriftmuseum. Einen weiteren Band mit der Provenienz Jellinek-Mercedes erwarb das Deutsche Buch- und Schriftmuseum 1986 beim Norddeutschen Antiquariat in Rostock.

In einer gemeinsamen Restitution, bei der die Deutsche Nationalbibliothek federführend für insgesamt 14 Bibliotheken aus ganz Deutschland agierte, konnten diese Bände zusammen mit 26 weiteren Bänden an die Erb*innen zurückgegeben werden. Sie konnten im Sinne einer gerechten und fairen Lösung anschließend für die Sammlungen der Bibliotheken wieder angekauft werden.

Weiterführende Informationen: 

Eintrag „Raoul Fernand Jellinek-Mercedes“, in: ProvenienzWiki, 28.04.2025, URL: https://provenienz.gbv.de/Raoul_Fernand_Jellinek-Mercedes

Reinhard Brenner, Zur Geschichte der Sammlung Jellinek-Mercedes – ein Briefwechsel, in: Forum Bibliothek und Information 56 (2004), H. 5, S. 351–357.

Reinhard Brenner, Die Sammlung Jellinek-Mercedes in der Stadtbibliothek Essen, in: Regine Dehnel (Hg.), Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium, Frankfurt a.M. 2006, S. 379–385.

Anett Krause und Cordula Reuß (Hg.), NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig. Katalog zur Ausstellung in der Bibliotheca Albertina, 27. November 2011 bis 18. März 2012 (= Schriften aus der Universitätsbibliothek Leipzig 25), Leipzig 2011, S. 58–59.

Emily Löffler, „14 Bibliotheken geben gemeinsam Bücher an die Erb*innen von Raoul Fernand Jellinek-Mercedes zurück“, in: Retour. Freier Blog für Provenienzforschende, 08.05.2025, URL: https://retour.hypotheses.org/5802

Walter Mentzel, „Raoul Fernand Jellinek-Mercedes“, in: Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, 06.01.2019, URL: https://www.lexikon-provenienzforschung.org/jellinek-mercedes-raoul-fernand (zuletzt abgerufen am 27.03.2025).

Markus Stumpf und Mathias Lichtenwagner, „… erschoss sich mein Gatte nach einer Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten“: Raub und Rückgabe aus der Sammlung Raoul Jellinek-Mercedes“, in: Birgit Kirchmayr und Pia Schölnberger (Hrsg.), Restituiert. 25 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich (Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung Bd. 9), Wien 2023, S. 344-351.

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